Corona-Krise: Europas Bauern fürchten Flut neuer Milchseen
Der Einbruch auf dem Milchmarkt kommt aus Sicht der Landwirte zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.
Es sind Szenen wie diese, die Europas Milchbauern in der Coronakrise fürchten: Pierre Villiers, ein junger Viehzüchter aus der Normandie, musste binnen drei Wochen rund 15.000 Liter Milch wegschütten, da er keine Abnehmer mehr dafür fand. Wie ihm geht es vielen Milchbauern, denn die weltweite Pandemie habe Absatzmärkte zerstört, Preise gedrückt und Lieferketten unterbrochen.
Der Einbruch auf dem Milchmarkt kommt aus Sicht der Landwirte zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, denn nun im Frühjahr erreicht die Milchproduktion für gewöhnlich ihren Höhepunkt. In dieser Zeit bringen Kühe die Kälber zur Welt und geben Milch, zudem wächst frisches Futter auf den Weiden.
Statt sich über Einnahmen zu freuen, drohen die europäischen Bauern in diesem Frühjahr in neuen Milchseen zu ertrinken. Der Preis für Magermilchpulver lag nach Angaben des European Milk Board (EMB), dem Dachverband der europäischen Milcherzeuger, jüngst bei nur noch 211 Euro pro 100 Kilogramm. Im Vergleich zum Vorjahr sei dies zwar eine Zunahme von elf Prozent, doch die Preise gingen seit Februar wöchentlich zurück.
Der französische Milchbauer Villiers reagiert auf diese Entwicklungen mit Galgenhumor: "Die Kühe wollen nicht verstehen, dass sie aufhören sollen zu produzieren."
Auch die Käse-Produzenten leiden unter der Krise. "Vom Brie über den Rocamadour und den Münsterkäse bis hin zum Reblochon, die Lage ist katastrophal", sagt Michel Lacoste, Präsident der Hersteller geschützten Milchprodukt-Marken in Frankreich. "Wir fühlen uns sehr alleine und isoliert, wir haben auf einen Schlag all unsere Kunden verloren."
Die Krise hatte in China begonnen, dem Ursprungsland des neuartigen Coronavirus. Dort wurden die Container mit Magermilchpulver aus Europa wegen der Blockade des Landes nicht mehr entladen. Später sank die Nachfrage wegen der Pandemie auch in Europa. Italien, vor zuvor etwa die Hälfte der Milch aus dem Ausland importiert wurde, beschränkte sich auf die eigene Milchproduktion. Das Nachsehen haben insbesondere Erzeuger aus Deutschland und Frankreich.
In Deutschland läuten bei den Bauern sämtliche Alarmglocken. Derzeit liege die Milchproduktion in Deutschland zwischen drei und fünf Prozent über der Nachfrage auf den Märkten, der Milchpreis sei im Bundesdurchschnitt auf bis zu 31 Cent pro Kilogramm gefallen, sagt Hans Foldenauer, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM).
Vielen Betrieben sitze noch die vergangene Milchpreis-Krise aus dem Jahr 2015 in den Knochen. Seither hätten die Landwirte wegen der weiterhin zu niedrigen Preise zwar ihre laufende Kosten decken, aber keine Kredite begleichen oder Rücklagen bilden können, sagt Foldenauer. "Wenn wir jetzt in die nächste Krise reinrutschen, wird die Situation schlimmer als 2015. Dann werden viele Bauern sagen: Ich kann nicht mehr, ich steige aus."
Foldenauer sieht nun auch die Erzeuger selbst in der Verantwortung, um für ein wenig Abkühlung auf den rotierenden Milchmärkten zu sorgen: Er rät, die Milcherzeugung vorübergehend zu drosseln, etwa indem die Kühe vorübergehend etwas weniger Kraftfutter erhielten.
Auch einige deutsche Molkereien reagieren mittlerweile auf den Milchüberschuss in der Pandemie. "Erste Molkereien haben damit begonnen, weniger Milch anzunehmen", sagt Björn Börgermann, Referent beim Milchindustrie-Verband. Eine Forderung für die gesamte Branche wolle er daraus indes nicht machen.